Taxenprojekt

Während sich eine Vielzahl meiner Projekte zur technischen Kunstgeschichte in Vorträgen und kunsttechnologischen Publikationen niedergeschlagen hat, hat das sogenannte Münchner Taxenprojekt nach einem bravourösen, viel beachteten Auftakt und einer Zeit der Blüte über 20 Jahre seinen Abschluss gesucht. Der Gründe hierfür waren viele … Doch seit dem 06.10.2023 ist www.taxenprojekt.de online. Große Freude bei allen Beteiligten! 

Anlass, auf die Anfänge zurückzublicken: In den hektischen Vorbereitungen zur Dürer-Ausstellung in der Neuen Pinakothek im Jahr 1998 stellte sich Christoph Krekel und mir die Frage, von wo Dürer eigentlich seine Farben herhatte? Machte er sie selber? Wo kaufte er ein, und wie muss man sich das vorstellen – so, vor knapp 500 Jahren? Maltechnische Quellentexte geben vereinzelte Hinweise darauf, dass Apotheken im Mittelalter und der frühen Neuzeit auch als Pigmenthandlungen fungierten. Dabei entpuppte es sich als Glücksfall, dass jede Apotheke gezwungen war, die Preise all ihrer Produkte in Form von Preislisten, sogenannten Taxen, öffentlich zu machen. Doch entgegen der heutigen Roten Liste – dem Nachfolger all dieser Taxen –, schloss dies damals auch Waren des täglichen Bedarfs ein. Kerzen, Schnaps, kandierte Früchte, Seife und … Künstlermaterialien! Die Frage musste sein: Gibt es solche Preislisten noch? Christoph Krekel kam eines Tages mit der triumphalen Meldung, dass die Staatsbibliothek in München solche Listen in ihren unerschöpflichen Beständen hätte. Aus dieser aufregenden Entdeckung erwuchs das Münchner Taxenprojekt als ein Gemeinschaftsprojekt von Christoph Krekel (heute Akademie der Bildenden Künste Stuttgart) und mir. Später stieß Ursula Haller (heute Hochschule für Bildende Künste Dresden) hinzu. Wir hatten zusammen wirklich gute Zeiten: Inspirierend, ergiebig, viel Spaß. Aus der kleinen Entdeckung erwuchs ein Riesenprojekt. Aus wenigen Taxen sollten bald viele werden, überall über Deutschland verstreut. 

Das Münchner Taxenprojekt widmete sich dann ab Mitte der 90er Jahre der wissenschaftlichen Erforschung, Erfassung, Bewertung und Edition aller gedruckter Taxen zwischen 1553 und 1800. Beifang waren handschriftliche Auswahltaxen aus der Zeit ab 1450 – die oft nur für Arzneien genutzte Stoffe oder Rezepturen listeten –, oder umfangreiche Preislisten des 19. Jahrhunderts, also aus einer Zeit, in der schon ein spezialisierter Fachhandel Künstler mit Farben versorgte. Die wohl organisierten Preislisten der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, die ergiebigen Listen des 17. Jahrhunderts – von gruseligen Waren während des 30jährigen Krieges ganz zu schweigen – und die eloquenten, überausführlichen Taxen des 18. Jahrhunderts erschlossen uns eine nie erahnte Welt. Wir bewegten uns im Raum zwischen Prag und Stockholm, zwischen Aberdeen und Liegnitz, eben überall dort, wo deutsche Apotheker einmal tätig waren. Die in den Taxen gefundenen Informationen zu rund 135 Waren – Pigmente, Farbstoffe, Binde- und Klebemitten sowie Hilfs- und Grundstoffe – flossen damals in eine Datenbank mit über 23.000 Einträgen ein. Schnell wurde klar, dass unser Vorhaben es erlauben würde, mit einer amtlichen Quelle zu belegen, welche Materialien zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort verfügbar waren. Zudem ergab sich eine Übersicht über die Preisentwicklung der einzelnen Waren. Nachweise einzelner Pigmente konnten mit Analysenbefunden meiner früheren Wirkungsstätte, des Münchner Doerner Institutes, in Verbindung gesetzt werden. Ebenso interessant waren Fragen, wie die mundartlich geprägten historischen Bezeichnungen gewesen waren und wie die einzelnen Taxen in ihrer Genese zusammenhingen. Denn natürlich wurde auch hier abgeschrieben, übernommen, örtlich verändert, von einem Collegium Pharmaceuticum geprüft, nicht einmal unbedingt am Ort gedruckt und amtlich erlassen. Alles wohlgeordnet, überwacht, dem Kunden wie dem Apotheker sehr zu Nutzen, sehr deutsch! Gespeist aus den Daten des Münchner Taxenprojekts erschienen bereits 17 wissenschaftliche Beiträge. Unsere Arbeit entwickelte so von Anbeginn an Breitenwirkung, doch 2004 fiel das Taxenprojekt in Tiefschlaf! Jeder von uns hatte neue Herausforderungen zu bewältigen, eine dichte Schicht aus Staub legte sich über „unsere Taxen“.

War’s das? Könnte man damit nicht zufrieden sein? In einem Punkt gewiss nicht: Es war uns nicht gelungen, unser Datensammlung zu vervollständigen und öffentlich zu machen. Frei suchbar und weltweit für jeden Kunsttechnologen zugänglich! Möglichenfalls waren diese hehren Ziele zu hoch gesteckt, es kam auf jeden Fall bis 2021 nie dazu! Erst die Zusage der Schoof’schen Stiftung, das Webinterface zu finanzieren, das die redaktionell überarbeiteten Daten zahlreicher Taxen, Inventare und Preiscourants Liste um Liste öffentlich machen sollte, brachte Bewegung in das Thema! Dieses Webinterface bot dann Schritt für Schritt Stoff für weitere eigene wissenschaftliche Arbeiten, für die Lehre wie auch insbesondere studentische Abschlussarbeiten. Mit dem Neuanfang erweiterte sich unsere Arbeitsgruppe um Stefanie Correll (Bayerische Schlösserverwaltung München), die dem Projekt zahlreiche Daten von Preiscourants zwischen 1780 und 1810 beisteuern wird – also für eine Zeit, in der die Rolle der Apotheke bei der Versorgung mit Farben, Bindemittel und all dem, nach was wir suchen, im Schwinden war. 

Es erwies sich als praktikabel, das Projekt auf digitalisierte Taxen (rund 180), Inventare (bislang leider nur vier) und Preiscourants (derzeit rund 100 mit zusätzlichen 6.000 Datensätzen) zu beschränken. Nach heutigem Stand zeichnen rund 30.000 Datensätze aus über 180 Listen (Stand 03.10.2023) ein fast geschlossenes Bild unserer Thematik. Der Kanon der erfassten Waren wurde auf rund 165 erweitert. Diese Erweiterung bedingte eine aufwendige Ergänzung unserer Daten. Nach Vereinheitlichung und Korrektur war dann eine schrittweise Freigabe möglich. Das Webinterface erlaubt heute die Generierung einzelner Listen (Taxen, Inventare oder Preiscourants) wie auch Listen zu einzelnen Waren. Öffentlich, niedrigschwellig, die Neugierde fördernd, ein Fest für die Technische Kunstgeschichte, die Handelsgeschichte, die Pharmaziegeschichte … Stoff für mehr. Aufregende Zeiten!

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